Warum scheint die Schöpfung in Genesis Kapitel 2 wiederholt zu werden?

by Rose Makero | 9 Juli 2024 08:46 am07

Das scheinbare Problem
Beim Lesen von Genesis (1. Mose) Kapitel 1 und 2 fällt vielen Bibellesern auf, dass es so wirkt, als gäbe es eine Wiederholung oder sogar einen Widerspruch:
Genesis 1 beschreibt die gesamte Schöpfung in sechs Tagen, endet mit der Erschaffung der Menschheit und Gottes Ruhe am siebten Tag.
Genesis 2 dagegen erzählt die Schöpfung scheinbar noch einmal, konzentriert sich dabei aber auf den Menschen, den Garten Eden und die Erschaffung der Frau.

Ist Genesis 2 also ein zweiter Schöpfungsbericht? Oder eher eine vertiefte Erklärung des ersten?


Theologische und literarische Klarstellung

1. Keine zwei Schöpfungen, sondern zwei Perspektiven
Genesis 1 und 2 widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich.
Genesis 1 bietet einen kosmologischen und geordneten Überblick, der Gottes transzendente Macht als Elohim (Gott) betont, der durch sein Wort schafft.
Genesis 2 hingegen ist eine fokussierte Erzählung, die die persönliche und beziehungsvolle Seite von Gottes Werk darstellt, mit dem Namen Jahwe Elohim (der HERR, Gott) — was seinen Bund und die intime Beziehung zu den Menschen betont.

Dieser Wechsel der göttlichen Namen ist theologisch bewusst gesetzt:

  • Elohim (Genesis 1): betont Gottes Allmacht und Souveränität

  • Jahwe Elohim (Genesis 2): betont Gottes persönliche und beziehungsvolle Natur, besonders zu den Menschen

Genesis 1,1 (LUT 2017)
„Im Anfang schuf Gott (Elohim) Himmel und Erde.“

Genesis 2,4 (LUT 2017)
„Dies ist die Geschichte des Himmels und der Erde, als sie geschaffen wurden, als der HERR, Gott (Jahwe Elohim), Erde und Himmel machte.“


2. Aufbau und Zweck der Kapitel

Genesis 1: Die große Schöpfungserzählung
Genesis 1 ist ein theologischer Bericht über Ordnung. Gott schafft die Welt in sechs Tagen, nach dem Muster von Bilden und Füllen:

  • Tage 1–3: Gott formt die Bereiche (Licht/Dunkelheit, Himmel/Meer, Land/Pflanzen)

  • Tage 4–6: Gott füllt diese Bereiche (Sonne/Mond/Sterne, Vögel/Fische, Tiere/Menschen)

Genesis 1,27–28 (LUT 2017)
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.“

Dieses Kapitel hebt die Würde, Identität und Berufung des Menschen hervor: als Gottes Ebenbild geschaffen, um zu herrschen und sich zu vermehren.


Genesis 2: Die beziehungsvolle Detailansicht der Menschwerdung
Genesis 2 widerspricht Genesis 1 nicht, sondern erklärt ausführlicher, wie die Erschaffung des Menschen geschah und betont besonders die Bundesbeziehung zwischen Gott und Mensch.

Genesis 2,7 (LUT 2017)
„Und der HERR, Gott, bildete den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte ihm den Atem des Lebens in seine Nase; so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“

Diese Verse zeigen:

  • Die materielle Herkunft des Menschen (Staub)

  • Die geistliche Natur des Menschen (Lebensatem)

  • Die persönliche Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung


3. Pflanzen und Menschen: Aufeinanderfolgend, nicht widersprüchlich
Manche beziehen sich auf Genesis 2,5–6, um zu behaupten, dass Pflanzen noch nicht geschaffen seien, was im Widerspruch zu Genesis 1,11–12 stünde. Doch Genesis 2,5 bestreitet nicht das Pflanzenleben allgemein, sondern meint eine bestimmte Art von Kulturgemüse — also Pflanzen, die menschliche Pflege und Regen benötigen.

Genesis 2,5 (LUT 2017)
„Und es war noch kein Strauch des Feldes auf Erden, und noch keine Pflanze des Feldes war gewachsen, denn der HERR, Gott, hatte es noch nicht regnen lassen auf Erden, und es war kein Mensch da, der das Erdreich bebaute.“

Genesis 1: allgemeine Schöpfung von Pflanzen (hebräisch: deshe – Vegetation)
Genesis 2: keine kultivierten Feldpflanzen oder Gartenfrüchte, da noch kein Regen fiel und kein Mensch arbeitete (hebräisch: siach hasadeh – Feldsträucher).


4. Die Erschaffung der Frau: Vom Überblick zur Einzelheit
Genesis 1,27 bestätigt, dass Mann und Frau von Gott geschaffen wurden. Genesis 2 schildert detailliert, wie die Frau aus der Seite des Mannes gemacht wurde, was Einheit, gegenseitige Abhängigkeit und Ergänzung unterstreicht.

Genesis 2,22 (LUT 2017)
„Da machte der HERR, Gott, aus der Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, eine Frau und brachte sie zu dem Menschen.“

Diese Begebenheit ist grundlegend für die christliche Theologie von:

  • Ehe (vgl. Matthäus 19,4–6)

  • Einheit in Christus (Galater 3,28)

  • Dem Geheimnis von Christus und der Gemeinde (Epheser 5,31–32)


Geistliche und praktische Anwendungen

1. Gottes Verheißungen geschehen oft in einem Prozess
Genesis 1 ist voller göttlicher Gebote „Es werde…“, aber Genesis 2 zeigt, dass Gottes Wirken oft stufenweise geschieht.
Zum Beispiel wurde die Frau nicht sofort geschaffen, als Gott sagte, dass Mann und Frau geschaffen seien – sie kam erst später aus Adams Seite.

Auch ein Baum trägt nicht sofort Früchte, sondern beginnt als Same, wird gepflanzt, verrottet, bekommt Wasser, keimt und wächst.

Johannes 12,24 (LUT 2017)
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“


2. Warten heißt nicht, dass Gott nicht wirkt
Wir sind oft ungeduldig mit Gottes Verheißungen. Doch Genesis 2 lehrt, dass Warten Teil seines Plans ist. So wie Joseph Sklaverei und Gefängnis ertragen musste, bevor er über Ägypten herrschte (Genesis 37–41), und Abraham viele Jahre wartete, bevor Isaak geboren wurde (Genesis 15–21). Die Verheißung mag verzögert sein, aber sie kommt gewiss.

Habakuk 2,3 (LUT 2017)
„Denn die Vision wartet auf die bestimmte Zeit und wird nicht lügen; wenn sie sich verzögert, so warte darauf; denn sie wird gewiss kommen und nicht auf sich warten lassen.“

Römer 8,25 (LUT 2017)
„Wenn wir aber hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir mit Geduld.“


3. Die Fülle von Gottes Offenbarung braucht beide Kapitel
Genesis 1 lehrt uns, an Gottes Macht und Ziel zu glauben.
Genesis 2 lehrt uns, Gottes Prozess und Timing zu vertrauen.

Gemeinsam zeigen sie uns einen Gott, der majestätisch und zugleich persönlich, souverän und zugleich liebevoll und mitfühlend ist.


Abschließende Ermahnung
Lebe nicht nur im Glauben an Genesis 1, dass Gott alles durch sein Wort ins Dasein ruft.
Lebe auch in Genesis 2, indem du vertraust, wie er alles in seinem Zeitplan verwirklicht.

Philipper 1,6 (LUT 2017)
„Ich bin darin guter Zuversicht, dass der, der in euch angefangen hat das gute Werk, es auch vollenden wird bis auf den Tag Christi Jesu.“

Wenn du also ein Wort, eine Vision oder eine Verheißung empfangen hast, sei geduldig. Der Same mag zu sterben scheinen, doch das Leben nimmt seinen Anfang. Was Gott begonnen hat, wird er vollenden.

Der HERR segne dich.


DOWNLOAD PDF
WhatsApp

Source URL: https://wingulamashahidi.org/de/2024/07/09/warum-scheint-die-schoepfung-in-genesis-kapitel-2-wiederholt-zu-werden/