Das Vaterunser: Wie man es betet
Das Vaterunser ist das Gebet, das unser Herr Jesus Christus seinen Jüngern vor seiner Himmelfahrt gelehrt hat (Matthäus 6,9–13; Lukas 11,2–4). Mit diesem Gebet hat Jesus nicht nur seine unmittelbaren Nachfolger unterwiesen, sondern ein Vorbild für alle Gläubigen durch die Jahrhunderte hinweg gegeben. Es zeigt uns, wie wir Gott im Gebet begegnen sollen – in inniger Beziehung, mit Ehrfurcht und Zielgerichtetheit.
Das Gebet in seiner Tiefe verstehen
Es ist entscheidend, die Tiefe dieses Gebets zu erfassen, damit unsere Gebete nicht zu leeren Wiederholungen oder bloßen rituellen Floskeln verkommen. Jesus warnte vor „plappernden“ Gebeten wie bei den Heiden, die meinen, sie würden durch viele Worte erhört (Matthäus 6,7). Unsere Gebete sollen dagegen aus dem Herzen kommen und vom Heiligen Geist geleitet sein (Römer 8,26).
Das Vaterunser lässt sich in acht thematische Abschnitte gliedern. Diese stellen kein festes Ritual dar, sondern geben geistliche Schwerpunkte vor. Jeder Gläubige ist eingeladen, unter der Leitung des Heiligen Geistes aufrichtig zu beten (Johannes 16,13).
Der Text (Matthäus 6,7–13, Lutherbibel 2017)
„7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.
8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
9 Darum sollt ihr so beten:
Unser Vater im Himmel!
Dein Name werde geheiligt.
10 Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
11 Unser tägliches Brot gib uns heute.
12 Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
13 Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“
1. Unser Vater im Himmel
Gott als „Vater“ (griech. Pater) anzusprechen, betont die persönliche Beziehung und nicht nur seine göttliche Autorität. Obwohl Gott der allmächtige Schöpfer ist, lädt er uns ein, Teil seiner Familie zu sein (Römer 8,15–16). Diese Anrede spiegelt den Bundescharakter der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk wider.
Jesus stellt dies dem distanzierten, unpersönlichen Gottesbild heidnischer Religionen entgegen. Wir nähern uns einem liebevollen Vater, der unsere Bedürfnisse schon kennt (Vers 8).
Theologischer Hinweis:
Dieser Titel verweist auf den dreieinigen Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist. Durch Christus sind wir in Gottes Familie aufgenommen (Epheser 1,5).
2. Dein Name werde geheiligt
„Heiligen“ bedeutet, etwas als heilig zu ehren und abzusondern (Hebräer 12,28). Gottes Name steht für sein Wesen und seinen Ruf. Dieses Gebet bittet darum, dass Gottes Heiligkeit auf Erden ebenso anerkannt wird wie im Himmel.
Paulus warnt davor, dass Gottes Name durch heuchlerisches Verhalten entehrt wird (Römer 2,22–24). Mit diesem Gebet bitten wir, dass Gottes Herrlichkeit sichtbar wird und seine Heiligkeit überall geachtet wird.
Theologischer Hinweis:
Gottes Name steht für seinen Bund und sein Wesen. Dieses Gebet ist ein Ausdruck des Wunsches, dass Gottes Charakter in einer Welt, die ihn oft ablehnt, gerecht dargestellt wird.
3. Dein Reich komme
Das „Reich Gottes“ ist sowohl eine gegenwärtige geistliche Realität als auch eine zukünftige Hoffnung (Lukas 17,20–21). Es beschreibt Gottes Herrschaft, die bei der Wiederkunft Christi vollkommen offenbar wird.
Diese Bitte drückt das Verlangen aus, dass Gottes Reich kommt, wo Leid und Böses endgültig besiegt sein werden (Offenbarung 21,1–4).
Theologischer Hinweis:
Das Gebet für das Reich Gottes ist eine Hoffnung auf die eschatologische Erfüllung – den neuen Himmel und die neue Erde – und bittet zugleich um Gottes Gerechtigkeit und Frieden im Leben der Gläubigen heute.
4. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden
Im Himmel geschieht Gottes Wille vollkommen (Psalm 103,20–21), doch die Erde widersetzt sich ihm durch die Sünde. Dieses Gebet unterwirft unser eigenes Wollen dem souveränen Willen Gottes.
Jesus selbst betete in Gethsemane: „Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (Lukas 22,42) – ein Vorbild vollkommener Hingabe.
Theologischer Hinweis:
Hier wird Gottes Vorsehung anerkannt, und das Herz des Gläubigen richtet sich auf seinen göttlichen Plan aus.
5. Unser tägliches Brot gib uns heute
„Tägliches Brot“ steht für Gottes Versorgung mit dem, was wir zum Leben brauchen (2. Mose 16,4 – das tägliche Manna). Es erinnert uns daran, dass wir in jeder Hinsicht von Gott abhängig sind (Psalm 104,27–28).
Es hat aber auch eine geistliche Bedeutung: Jesus ist das „Brot des Lebens“ (Johannes 6,35), durch das Gott uns geistlich nährt.
Theologischer Hinweis:
Dieses Gebet fördert Vertrauen und Dankbarkeit und erkennt Gottes Treue an, sowohl materielle als auch geistliche Bedürfnisse zu erfüllen.
6. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern
„Schuld“ (griech. opheilēmata) meint moralisches Versagen – Sünde gegen Gott und andere. Vergebung ist grundlegend im christlichen Glauben und offenbart Gottes Gnade durch Christi Opfer (Epheser 1,7).
Die Bedingung „wie auch wir vergeben“ betont die Gegenseitigkeit der Vergebung (Matthäus 18,21–35). Unversöhnlichkeit kann unsere eigene Vergebung behindern (Markus 11,25).
Theologischer Hinweis:
Vergebung stellt die Beziehung zu Gott und anderen wieder her und verwirklicht Jesu Gebot der Liebe.
7. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Dieses Gebet anerkennt die Realität geistlicher Kämpfe (Epheser 6,12). „Versuchung“ (griech. peirasmos) kann sowohl Prüfung als auch Verführung zur Sünde bedeuten.
Wir bitten Gott, uns vor den Angriffen des Satans („des Bösen“) zu bewahren und uns in Zeiten der Anfechtung zu stärken.
Theologischer Hinweis:
Gott selbst versucht uns nicht zur Sünde (Jakobus 1,13), aber er lässt Prüfungen zu, die unser Wachstum fördern. Wir bitten um seine Führung und Bewahrung.
8. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit
Diese Doxologie fehlt in manchen alten Handschriften, ist jedoch in vielen Bibelübersetzungen enthalten. Sie bringt Lobpreis zum Ausdruck und anerkennt Gottes ewige Herrschaft und Macht.
Ein würdiger Abschluss, der deutlich macht, dass alle Ehre Gott allein gehört – für immer.
Theologischer Hinweis:
Diese Doxologie bekräftigt Gottes absolute Autorität über Geschichte und Gemeinde und betont unseren Auftrag, ihn in Ewigkeit zu verherrlichen.
Der Herr segne dich!
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