Antwort: Die Begriffe Exegese und Eisegese stammen aus dem Griechischen und beschreiben zwei entgegengesetzte Methoden, die Heilige Schrift zu interpretieren. Der Unterschied zwischen beiden ist entscheidend für eine gesunde Theologie und eine treue biblische Lehre.
1) Exegese
Das Wort Exegese leitet sich vom griechischen exēgeomai ab, was „herausführen“ bedeutet. In der Bibelauslegung meint es, den ursprünglichen Sinn des Textes herauszuarbeiten – unter Berücksichtigung von Kontext, Grammatik, historischem Hintergrund und literarischer Struktur. Es ist eine disziplinierte und objektive Methode, bei der die Bibel für sich selbst sprechen darf.
Theologische Grundlage: Exegese entspricht dem reformatorischen Grundsatz Sola Scriptura, dass die Schrift höchste Autorität in allen Fragen von Glaube und Leben hat.
„Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“
(2. Timotheus 3,16–17)
Hilfsmittel, die in der Exegese verwendet werden, sind:
-
Historischer Kontext (Wer ist der Autor? An wen wurde geschrieben? Was war der historische Hintergrund?)
-
Literarischer Kontext (Welches Genre hat der Text? Wie passt die Stelle in den Gesamtkontext?)
-
Ursprüngliche Sprachen (Bedeutung und Grammatik im Hebräischen bzw. Griechischen)
-
Biblisch-theologischer Zusammenhang (Wo steht der Text im heilsgeschichtlichen Verlauf?)
2) Eisegese
Das Wort Eisegese setzt sich aus eis („hinein“) und hēgeomai („führen“) zusammen und bedeutet, eigene Gedanken oder Vorstellungen in den Text hineinzulesen. Dabei werden persönliche Erfahrungen, kulturelle Einflüsse oder vorgefasste Meinungen auf die Schrift übertragen. Auch wenn gut gemeint, kann Eisegese zu Fehlinterpretationen oder sogar zu einer Verfälschung der Wahrheit führen.
Theologische Gefahr: Eisegese widerspricht dem biblischen Auftrag, das Wort Gottes recht zu handhaben.
„Bemühe dich darum, dich vor Gott zu erweisen als ein rechtschaffener und untadeliger Arbeiter, der das Wort der Wahrheit recht vertritt.“
(2. Timotheus 2,15)
Die Folge sind oft subjektive Deutungen, die sich vom ursprünglichen Sinn des Autors entfernen und zu doktrinalen Irrtümern oder geistlicher Verwirrung führen können.
Ein praktisches Beispiel: Matthäus 11,28
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
(Matthäus 11,28)
Exegetische Auslegung: Jesus spricht hier im jüdischen Kontext des 1. Jahrhunderts zu Menschen, die unter der schweren Last gesetzlicher Vorschriften litten, die ihnen von den Pharisäern auferlegt wurden (vgl. Matthäus 23,4). Die „Ruhe“, die er anbietet, ist geistliche Ruhe – Befreiung vom Druck, durch eigene Werke Gerechtigkeit zu erlangen. Sie verweist letztlich auf das Heil durch Gnade und Glauben an Christus (vgl. Hebräer 4,9–10).
Eisegetische Fehlanwendung: Manche deuten die „Lasten“ in diesem Vers als moderne Herausforderungen wie Stress, Schulden oder familiäre Probleme. Auch wenn diese Anwendung emotional nachvollziehbar ist, verfehlt sie den ursprünglichen Sinn. Erst nachdem der Hauptgedanke verstanden wurde, kann eine persönliche Anwendung folgen.
„Denn wir, die wir glauben, gehen ein in die Ruhe …“
(Hebräer 4,3)„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
(1. Petrus 5,7)
Warum das wichtig ist
Gott kann durchaus persönlich durch ein Bibelwort zu uns sprechen. Doch subjektive Eindrücke dürfen niemals über die objektive Wahrheit der Schrift gestellt werden. Die Bibel muss sich immer selbst auslegen dürfen.
„Und das sollt ihr vor allem wissen, dass keine Weissagung in der Schrift aus eigener Auslegung geschieht.“
(2. Petrus 1,20)
Häufige Irrtümer durch Eisegese
-
Die „Zeichen des Tieres“ (Offenbarung 13) mit COVID-19 oder Impfstoffen gleichsetzen: Die Offenbarung ist in symbolischer, apokalyptischer Sprache geschrieben und muss im historischen Kontext des ersten Jahrhunderts verstanden werden – nicht durch moderne Angstbilder.
-
Jesu Wunder nachahmen (z. B. Spucke und Erde wie in Johannes 9,6–7 verwenden): Dieses Wunder war ein einzigartiger Akt göttlicher Autorität und keine Anleitung für geistlichen Dienst. Der neutestamentliche Dienst geschieht im Namen und unter der Vollmacht Jesu.
„Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus …“
(Kolosser 3,17)
Fazit: Wie man bibeltreu bleibt
Wer Gottes Wort treu auslegen will, sollte:
-
Mit Exegese beginnen – also den ursprünglichen Sinn des Textes durch gründliches Bibelstudium erfassen.
-
Erst nach dem Verstehen die Anwendung auf das eigene Leben suchen.
-
Vermeiden, Bibelverse zur Bestätigung eigener Wünsche oder Meinungen zu verbiegen.
Nur so können wir das Wort der Wahrheit recht auslegen, andere lehren und im Glauben fest verwurzelt bleiben.
„Predige das Wort, tritt dafür ein, es sei zur Zeit oder zur Unzeit; weise zurecht, strafe, ermahne mit aller Geduld und Lehre.“
(2. Timotheus 4,2)
Der Herr segne dich!
Über den Autor